Züge bemalen (Interview)
Wie kommt man auf die Idee, einen Zug zu bemalen und wie verhält man sich bei einer Hausdurchsuchung? Ein anonymer Künstler erzählt uns in einem Inverview von seinen Erfahrungen.
FAKTENFILTER: Dein Hobby ist ziemlich umstritten und stößt immer wieder auf Diskrepanz. Wie kamst du dazu, Züge zu bemalen?
Jan: Weißt du, egal wo man auf der Straße hinschaut, belästigen einen große Firmen den ganzen Tag. Überall glotzen dich künstlich wirkende, ausdrucklose Gesichter von Werbeplakaten an. Dabei ist neben den grauen Fassaden im heutigen Stadtbild nichts so präsent, wie die zahlreichen Werbemittel, von denen sich Tag für Tag mehr in die Straßen schleichen. Ein bemalter Zug durchbricht dieses affektierte Bild, welches dir von der Industrie aufgedrängt wird. Als damals ein bemalter Zug an mir vorbeirauschte, blickte mir keine der elendig gleichwirkenden Botschaften entgegen. Ich entdeckte Bedürfnisse und Weltanschauungen, mit denen ich mich wirklich identifizieren konnte. Hinter diesen Bildern steckt nicht die omnipräsente Idee, etwas verkaufen zu wollen, sondern eine ganz spezielle Form, sich selbst auszudrücken. Damals war ich begeistert und entdeckte dieses Medium auch für mich als Ausdrucksform. Bis heute hat mich die Faszination nicht mehr losgelassen.
FAKTENFILTER: Du malst nun schon ziemlich lange. Kannst du Tipps geben, was man beim Trainwriting beachten sollte?
Jan: Die meisten Anfänger unterschätzen die Aufmerksamkeit von empfindlichen Bürgern und dem BGS. Manche sind beim Malen lauter als ein einfahrender Zug [lacht]. Um das Bild fertig malen zu können, sollte man auf jeden Fall so leise wie möglich sein. Es gibt auch Kandidaten, die sich gleich auf das Stahl zu stürzen, dabei ist es sinnvoller, sich vorher mit den aktuellen Begebenheiten vertraut zu machen. Augenzeugen können einen schnell die Tour vermiesen. Besser ist es, einen Kumpel mitzunehmen, dann kannst du dich voll auf das Bild konzentrieren, während er sich umschaut und warnen kann. Dass man Handschuhe tragen sollte, versteht sich von selbst. In Krankenhäusern oder Billigläden gibt es relativ dünne aus Latex, die das Gefühl an der Düse nicht sonderlich beeinträchtigen.
FAKTENFILTER: ... und wie bereitest du dich auf eine Aktion vor?
Jan: Es ist wichtig, sich vorher ein umfangreiches Bild vom Spot zu machen. Abfahrpläne der Züge checken, Fluchtwege suchen und so... Taxistandorte sind immer schlecht, da die Fahrer meist eng mit der Polizei zusammenarbeiten.
Joa... um unnötigen Stress zu vermeiden, wische ich vor dem Losgehen die Fingerabdrücke von der Dosen ab und schüttel sie bereits zu Hause, damit man mich nicht schon vor der ersten Line meilenweit hören kann. Ich gehe auch ungerne mit Skizzen aus dem Haus. Lieber probiere ich das Bild ein paar mal zu Hause im Kleinformat aus, somit enfällt potenzielles Beweismaterial, sofern es im schlimmsten Fall zu einer Festnahme kommen sollte.
FAKTENFILTER: Wurdest du schon mal erwischt?
Jan: Ja, das kommt schonmal vor...
FAKTENFILTER: Wie hast du reagiert?
Jan: Minimal. Ich habe mich vorher schlau gemacht und weiß, dass man der Polizei lediglich seinen Namen, Geburtstag, Meldeadresse und eine ungefähre Berufsbezeichnung angeben muss. Das wars! Da man das Recht hat, die Aussage zu verweigern, habe ich mich nicht weiter zu dem Vorfall geäußert. Einem Kumpel von mir haben sie mal gedroht, dass es heftige Konsequenzen hätte, wenn er schweigt; doch das ist völliger Blödsinn. Es ist immer besser, sich mit einem Anwalt zu beraten, bevor man sich mit einer Aussage selbst belastet.
FAKTENFILTER: Haben sie dich anschließend laufen lassen?
Jan: Da die schon ne dicke Akte von mir hatten, haben sie mich auf die Wache gefahren und dort nach Beweismaterial durchsucht. Sie konnten mir aber nichts nachweisen. Hätte ich eine Skizze oder einen Fotoapperat mit mir rumgeschleppt, hätte es anders ausgesehen. Sie versuchten, mir durch weitere Befragungen etwas zu entlocken, aber da ich keine weiteren Angaben machte, ließen sie mich letztendlich gehen. Ein Bekannter von mir hatte sich mal verquatscht und so haben sie später bei ihm eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei dem alle Dosen eingezogen wurden.
FAKTENFILTER: Kam es bei dir zur Hausdurchsuchung?
Jan: Nö, sie ließen mich einfach gehen. Ein Kumpel, mit dem ich früher viel malte, hatte dagegen weniger Glück, bei ihm haben die Beamten seine halbe Wohnung auseinandergenommen. Da macht es echt Sinn,, sich vorher über seine Rechte zu informieren. Er wohnt in einer WG, also durften die Beamten nur von ihm genutzte Räume durchsuchen, also Schlafzimmer, Wohnzimmer und den Keller (den sie komischerweiße ausließen). Meistens kommen die am frühen Morgen, denn da ist die Chance am größten, den Täter anzutreffen. Bei meinem Kumpel klingelten sie 5:00 Uhr morgens Sturm. Er hatte sein Blackbook offen herumliegen, welches sofort konfisziert wurde. Wiederbekommen hat er es natrülich nicht.
FAKTENFILTER: Zogen sie nach der Durchsuchung einfach wieder ab, oder gab es noch Konsequenzen?
Jan: Er bekam eine Vorladung. Heute weiß ich, dass man dort nicht hingehen muss. Du musst erst dort antanzen, wenn du eine Einladung vom Staatsanwalt bekommst, doch das wussten wir damals noch nicht. Mein Kumpel bekam einen Srafbefehl, hat dann aber einen Anwalt zu kontaktiert. Der riet ihm, innerhalb von 2 Wochen einen Widerruf zu stellen (kannst du als Vorlage im Internet runterladen) und somit wurde das Verfahren später eingestellt.
FAKTENFILTER: Hast du je daran gedacht, aufzuhören und ein ruhigeres Hobby zu suchen?
Jan: Sicherlich gibt es Hobbies, in denen ich mich deutlich uneingeschränkter ausleben könnte. Aber die Faszination ist einfach zu groß. Es geht nicht nur ums Malen, du musst dich gleichermaßen um die Organisation kümmern, auf alle Szenarien vorbereitet sein und für viele Probleme kurzfristig eine Lösung finden. Dazu kommt ein Haufen Adrenalin. Es geht kaum was über das Gefühl, nachts im Bett zu liegen, während sich die eigene Botschaft gerade quer durch die Stadt verbreitet. Das wird mich wohl noch eine ganze Weile antreiben [grinst].
FAKTENFILTER: Grüße?
Jan: ...gehn an alle, die Nacht für Nacht ihren Arsch riskieren, um das graue Stadtbild nach allen Möglichkeiten der Kunst zu durchbrechen.
Im Inhalt erwähnte Handlungen sollen nicht zur Nachahmung aufrufen, sondern das Geschehen dokumentieren. Der Name des Künstlers wurde aus personenrechtlichen Gründen geändert.
Text: M1
Grafik: urbandesigner.de
Umfrage
Sind Graffii auf Zügen Kunst oder Vandalismus?
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